Mal wieder doch nicht 1984

Der digitale Euro soll orwellianischen Horrorszenarien den Weg ebnen. Davor wird in einem viral gegangenen Video des TikTok-Kanals durchwandunddecke gewarnt. Das könnte Angst machen, wäre nicht einiges Wesentliches außer Acht gelassen worden. 

“Was bisher nur krude Verschwörungstheorie war, haben wir jetzt schwarz auf weiß.” So Sören Richter, der sich auf seinem TikTok-Kanal durchwandunddecke in erster Linie mit Kryptowährung befasst. In einem aktuellen Video zählt er die Arten auf, auf die uns das digitale Zentralbankgeld der Eurozone entmachten würde. Zum einen sei das Geld programmierbar. Die Möglichkeit damit zu zahlen könnte also an Bedingungen wie einen Social Score oder erforderliche medizinische Behandlungen geknüpft werden. Der Funktionsumfang der digitalen Geldbörsen sei abhängig davon, wie viele Daten Nutzer*innen angeben wollen. Ein voller Funktionsumfang würde der EU volle Überwachung gewähren. Außerdem könnte digitales Geld wieder eingezogen werden, beispielsweise zur Geldmengenkontrolle. Sören Richter malt die Konsequenzen aus: “Gestern hattest du noch eine halbe Millionen drauf und heute ist es nur noch eine Viertel.” 

Ergänzung statt Ersetzung

Digitales Zentralbankgeld ist eine Form digitaler Währung, die anders als eine Kryptowährung von einer Zentralbank abgesichert wird. Im Fall des digitalen Euros von der Europäischen Zentralbank, die ihn auch ausgibt. Erste Bemühungen, digitales Zentralbankgeld einzuführen, gab es schon in den 1990ern, sie scheiterten aber noch an technologischen Beschränkungen. Die Idee geriet erst langsam wieder in Mode, nachdem 2009 Bitcoin als erste Kryptowährung an den Markt ging. Stand Dezember 2023 arbeiten 130 Länder, insgesamt verantwortlich für 98 Prozent des weltweiten BIP, an der Entwicklung ihres eigenen digitalen Zentralbankgeldes. Elf Länder haben ein solches bereits offiziell als Währung eingeführt. 

Essenziell dabei ist, was unter ‘offiziell als Währung eingeführt’ zu verstehen ist. Mit seiner Anspielung auf dystopische Zukunftsvisionen von Überwachungsstaaten erweckt Sören Richter den Eindruck, digitales Zentralbankgeld soll herkömmliche Währung ersetzen. In den Ländern, in denen es eingeführt wurde, ist aber sehr wohl noch Bargeld im Umlauf. 

Natürlich hängt es von der Regierung und der wirtschaftlichen Situation eines Landes ab, was genau mit der Einführung einer eigenen digitalen Währung bezweckt werden soll. Ein Pionier auf dem Gebiet sind die Bahamas. Sie haben den Sand Dollar eingeführt, um ihr Wirtschaftssystem inklusiver für alle Gemeinschaften auf den zahlreichen, teils entlegenen Inseln in ihrem Staatsgebiet zu machen. Nigeria hat 2021 den eNaira eingeführt, weil die Regierung aufgrund der Verbreitung von Kryptowährungen die Stabilität der eigenen Währung bedroht sah. Ein Jahr später wurde dieser von 0,5 Prozent der Bevölkerung genutzt. Auch nach einer Währungskrise aufgrund von Bargeldknappheit liegt der Anteil bei unter 5 Prozent. Was den Digitalen Euro betrifft, so ist dieser ausdrücklich dazu gedacht, das Bargeld zu ergänzen und nicht zu ersetzen. 

Rechtsstaatlich statt willkürlich

Trotzdem macht es Sinn, Herrn Richters Behauptungen über digitales Zentralbankgeld genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn, egal ob wir es selbst verwenden oder nicht, es wird eine zunehmend große Rolle in unserem Leben spielen. Das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat ein Paper mit technischen Richtlinien für Entwickler und Anbieter der Technologie veröffentlicht, das wichtigen Kontext bietet. 

Das Dokument, auf das auch von Sören Richter verwiesen wird, schreibt, wie dieser behauptet, Programmierbarkeit der digitalen Geldbörsen vor. Von einer Verknüpfung mit Social Scores oder medizinischen Behandlungen ist keine Rede, auch wenn diese hypothetisch möglich wären. Bevor man sich darum Sorgen macht, sollte man aber bedenken, dass die Einführung einer digitalen Währung nicht die Grundrechte und Verfassung in einem Land außer Kraft setzt. 

Auch deckt sich mit den Behauptungen des Krypto-Aficionados,  dass verschiedene Geldbörsen mit unterschiedlichem Funktionsumfang vorgesehen sind. Uneingeschränkt anonym verwendbares digitales Geld ließe sich zu illegalen Zwecken missbrauchen. Außerdem könnte es gegen das Know Your Customer Prinzip und Regulationen gegen Geldwäsche verstoßen. Um das zu verhindern, müssen Geldbörsen mit gewissem Funktionsumfang auch gewisse Transparenz bieten. Es ist aber auch in den technischen Richtlinien vermerkt, dass neben diesen weiterhin die Datenschutz-Grundverordnung der EU besteht. Somit wäre ein Zugriff auf Daten etwaiger Geldbörsenbesitzer*innen weiterhin nur auf einer rechtlichen Grundlage, wie z.B. auf Basis des Geldwäschegesetzes, gestattet. 

Die Aussage, Geld könnte eingezogen werden, ist nicht an sich falsch, jedoch so aus dem Kontext gerissen, dass sie völlig irreführend ist. Das Einziehen, synonym mit Ungültigmachung bzw. “Vernichten” zu verstehen, von digitalen Zentralbanknoten durch eine eigens dafür eingerichtete Behörde ist möglich. Diese Behörde kann aber nicht Geld aus beliebigen digitalen Geldbörsen einziehen, sondern nur solches, das ihr selbst gehört. Der Sinn davon ist, den Wert der Währung zu regulieren. Um das Vertrauen der Nutzer*innen nicht aufs Spiel zu setzen, sprechen die technischen Richtlinien sich explizit gegen die Möglichkeit aus, Geld aus allen digitalen Geldbörsen einziehen zu lassen. 

Abschließend lässt sich sagen: Der digitale Euro beherbergt, wie viele Technologien, durchaus das Potenzial, von Machthabern missbraucht zu werden. Bevor er aber zur Gefahr für eine freiheitliche Gesellschaft werden kann, müssten aber sowohl das Bargeld als auch einiges an Verordnungen und Verfassungen abgeschafft werden.


Max Hofstätter

Max hat über einen nichtlinearen Bildungsweg schließlich im Journalismus seine Leidenschaft gefunden. Erste Redaktionserfahrung als freier Mitarbeiter beim niederländischen Online-Magazin SvJMedia gesammelt. Für das Ressort Arts, Culture & Lifestyle Storytelling unter anderem Reportagen in Bulgarien produziert. War Praktikant bei tag eins und ist inzwischen stolzer Praktikant bei Context. Schreibt neben Artikeln derzeit seine Bachelorarbeit im Studiengang Journalismus und Medienmanagement an der FH Wien der WKW.

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